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Aquaristik und Reisen

Mein wichtigstes Buch über Fische


Wenn ich ein Buch als „Mein wichtigstes Buch über Fische“ rezensiere, dann muss es viele gute Gründe dafür geben.


Zum Beispiel, dass hier ein Buch sich mit allen Themenbereichen auseinandersetzt, die mich an Fischen und deren Pflege im Aquarium interessieren. Balcombe befasst sich in umfangreichen Kapiteln genau damit:
- mit der Wahrnehmung und den Sinnesleistungen bei Fischen: Hören, Sehen, Riechen, Berührung und Orientierung.
- mit Gefühlen wie Schmerz, Stress, Freude, Spiel und Bewusstsein.
- mit der Frage der Denkfähigkeit von Fischen: ihrer Intelligenz, ihrem Werkzeuggebrauch, Plänen und Gedankensprüngen, die sie zeigen.
- dem Sozialverhalten unserer Fische: wie sie kooperieren, wie sich bei ihnen Demokratie und Sozialverträge zeigen lassen.
- und zuletzt auch ihrem Verhalten bei der Vermehrung: Balz, Sexualverhalten und Brutpflege; Aspekte, die von Aquarianern häufig aus eigener Beobachtung  mit besonderem Interesse bedacht werden.


Die Anzahl und die Vielfalt dieser Themenbereiche zeigen wie weit Balcombe ausholt, um uns zu zeigen, „Was Fische wissen“ oder „What a Fish Knows“ (so der Titel der englischsprachigen Originalausgabe). Viele dieser Themen kommen Aquarianern sehr bekannt vor, vor allem wenn sie naturwissenschaftliches Interesse an der Unterwasserwelt haben.
So wie Balcombe sich mit diesen Themen befasst, wird daraus nicht nur eine Sammlung höchst amüsant erzählter oder zitierter Anekdoten, die schon allein wegen ihres Unterhaltungswertes das Lesen dieses Buches wert sind. Balcombe bietet vielmehr eine großartige Mischung zwischen brillantem und humorvollem Erzählen und wissenschaftlich fundierten Überlegungen und Darstellungen zu genau den Themen, die in diesen Anekdoten angesprochen werden. Wenn er eigene Erlebnisse berichtet oder private Geschichten von Aquarianern zitiert erweist er sich als glänzender Beobachter und Erzähler, was auch in der deutschen Übersetzung voll zur Geltung kommt. Die manchmal durchaus emotionalen und wenig systematischen Einzelberichte bringt Balcombe dann mit Ergebnissen zielgerichteter, methodischer wissenschaftlicher Versuche und konkreten Zahlen aus wissenschaftlichen Untersuchungen zusammen, die helfen, diese Beobachtungen im Zusammenhang zu sehen und richtig zu deuten. Zusammen ergibt dies eine faszinierend zu lesende Mischung.


Am Ende des Buches bieten dann 28 Seiten Anmerkungen und Quellenangaben für jeden, der sich intensiv mit dem Verhalten von Fischen auseinander setzen will, eine wahre Fundgrube an Hinweisen und Anregungen.


Aber Balcombe stellt  nicht nur den Zusammenhang her zwischen der Fülle an weniger systematischen Einzelbeobachtungen und methodisch geplanten wissenschaftlichen Studien. Er wirft auch die ganz großen, grundlegenden Fragen zum Verhältnis von Menschen und Tieren auf und verdeutlicht sie immer wieder am Beispiel der Fische.


Die steigende Zahl von vegetarisch oder vegan lebenden Menschen ist ein Zeichen von zum Glück wachsendem Umweltbewusstsein, aber auch davon, dass mehr Menschen beginnen, Tiere nicht mehr als Gegenstände, Sachen, zu betrachten, sondern als Mitlebewesen  mit ähnlicher Daseinsberechtigung wie wir Menschen auch. In dieser immer sehr kontrovers diskutierten Frage nimmt Balcombe eindeutig Stellung.
Dass Fische Gefühle haben ist für viele Menschen noch eine undenkbare Vorstellung (bis sie dieses Buch gelesen haben). Balcombe berichtet nicht nur von Emotionalität (bei Fischen ebenso wie bei ihren ‚Besitzern‘), er zeigt auch selber Emotionen, sein Mitgefühl zu Fischen als „Mitlebewesen“ statt als Handelsware und Proteinquelle. Aber er bleibt nicht dabei stehen, sondern zeigt immer wieder wissenschaftliche Belege, Beobachtungen und Versuche, die den unausweichlichen Schluss nahelegen, dass Fisch tatsächlich Gefühle haben.


Wenn er dann die Frage stellt „Haben Fische eine Kultur?“  und diese ausführlich diskutiert, dürfte das bei vielen erst einmal Kopfschütteln hervorrufen. Wenn er aber den „Wissenstransfer von Fisch zu Fisch über ihre Wanderrouten“ beschreibt oder die Weitergabe von Jagd- und Fangmethoden, dann wird deutlich, wie hoch Balcombe die Fähigkeit von Fischen zu „sozialer Kooperation“ einschätzt. Beobachtungen und Versuchsanordnungen, die er beschreibt, zeigen, dass Fische zu verblüffenden Sinnes- und Intelligenzleistungen fähig sind. Zum Beispiel beim Gebrauch von Gegenständen als Werkzeug, oder bei der Kommunikation mit Hilfe von Gesten bei der Jagd (und das sogar zwischen Individuen von verschiedenen Arten).


Auch zu der Frage, ob Fische Schmerz empfinden, (was vor gar nicht langer Zeit noch von vielen bestritten wurde) nimmt Balcombe eindeutig Stellung. Er sagt klar, dass es inzwischen die „einhellige Lehrmeinung“ ist, dass Fische ein Bewusstsein besitzen und Schmerz empfinden. Ein Hinweis, den viele „Fischesser“ und auch Aquarianer manchmal vergessen oder verdrängen. Ich bin beides, und nehme mich da nicht aus.


Als logische Konsequenz beschäftigt sich Balcombe in seinem letzten Kapitel mit dem Fischfang. Er gibt eine für den unvorbereiteten Laien ernüchternde, ja erschreckende Bilanz unseres Verhältnisses zu den Fischen: Gefangen, um verzehrt zu werden. Auch in Anbetracht der immer größer werdenden Bedeutung von Aquakultur ist der Vergleich zur Massentierhaltung, den er zieht und belegt, angebracht. Was Balcombe fordert, ist Respekt, eine veränderte Haltung, eine neue Beziehung zu Fischen und Tieren allgemein als „bewusstseinsbegabten Individuen“, als „unseren Unterwasserverwandten“. Er sagt, wenn sich unsere Haltung ändert, dann ändert sich alles.
Entsprechend werde  ich dieses Buch noch ein zweites Mal lesen: als Lesegenuss und als Mahnung.



Jonathan Balcombe ist Biologe, Verhaltensforscher und Autor mit dem Spezialgebiet Empfindungsvermögen von Tieren. In diesem Bereich hat er auch geforscht, unterrichtet und fordert einen grundlegenden Wandel des Verhältnisses Mensch-Tier.
Außer ‚Was Fische Wissen‘ hat er zu dieser Thematik mehrere andere Bücher geschrieben. Was Fische Wissen‘ ist im Mare Verlag erschienen und kostet 18 Euro.