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Aquaristik und Reisen

Tauchen auf der Schatzinsel

Karibische Impressionen aus aquaristischer Sicht  

Natürlich denkt beim Begriff Schatzinsel" jeder erst einmal an Robert Louis Stevenson und sein Treasure Island", das die meisten leider nur als nacherzählte Kinder- oder Jugendbuchversion, und nicht im Original gelesen haben. Aber wer bei dem Namen an eine abgelegene Karibikinsel denkt, an einen schwer erreichbaren Ort, an dem abenteuerliche Dinge zu erleben und wundervolle Anblicke zu finden sind, der hat durchaus die richtigen Vorstellungen von der Schatzinsel von heute. Dass die Schätze unter Wasser zu finden sind, dass es nicht Gold und Silber sind, die den Reiz der Insel ausmachen, sondern prachtvolle Fischschwärme und eine Unterwasserlandschaft von mannigfaltiger Farbenpracht, das kann einem tauchbegeisterten Aquarianer nur recht sein.

Die Schatzinsel ist die größte der 672 Inseln des Canarreos-Korallenarchipels, das sich südwestlich der Insel Kuba erstreckt. Den Namen Schatzinsel hat sie erst in letzter Zeit erhalten und der Reiseveranstalter, der der kleinen Karibik-Insel südwestlich der kubanischen Hauptinsel diesen Namen gab, wollte damit sicher weniger auf die von Piraterie geprägte Geschichte dieses Eilands hinweisen, sondern vor allem auf die Schätze der Unterwasserfauna und -flora, die es jedem zu bieten hat, der bereit ist, seinen Kopf beim Schnorcheln oder Tauchen für einige Zeit unter Wasser zu halten.  

Die Insel der vielen Namen

"Isla de la Juventud", Insel der Jugend, ist der offizielle Name, den dieser 2200 km2 große Teil der Republik Kuba heute trägt, weil nach der kubanischen Revolution vor allem Jugendliche in Arbeitseinsätzen die Insel landwirtschaftlich nutzbar machten, und weil zehntausende von Jugendlichen aus vielen Ländern hier in Schulen und Hochschulen ausgebildet wurden (und teilweise noch werden).

Ebenso aussagekräftig ist sicher auch der Name, den die Insel vorher trug, nämlich "Pinieninsel", "Isle of Pines" oder "Isla de los Pinos". Auch wenn heute große Flächen mit Grapefruit-, Mango-, Kokosnuss- oder Ananasplantagen bedeckt sind, so bleiben Pinien doch die charakteristischen Bäume der Insel.

Dass Kolumbus diese Insel "Evangelista" nannte, dass sie zu verschiedenen Zeiten "Teufelsinsel" oder auch "Pirateninsel" hieß, zeugt von ihrer auch früher schon sehr bewegten Geschichte. Zweifellos diente sie in den vergangenen Jahrhunderten immer wieder Piraten als Unterschlupf und Ausgangsbasis für Raubzüge. Dass sie aber wirklich R. L. Stevensons berühmt-berüchtigte Schatzinsel sei, entpuppt sich schnell als (durchaus sympathisches) Gerücht, wenn man Stevensons eigene Äußerungen über die Entstehung seiner Geschichte liest. Und da die Natur und die Lebensbedingungen auf der Insel von Stevenson eher in düsteren Tönen geschildert werden, erweist sich dieser Mangel an Übereinstimmung eher als eine erfreuliche Eigenschaft dieser "Schatzinsel für Taucher".

Tauchen im Aquarium

Am südwestlichen Ende der Isla de la Juventud, zwischen Punta Francés und Punta de Pedernales findet man eine sehr große Zahl an wunderbaren Tauchplätzen. Orte mit solch romantischen Bezeichnungen wie "Valle de coral" (Tal der Korallen), "El jardin de la reina" (Der Garten der Königin), "Túnel del amor" (Tunnel der Liebe), "Los cabezos encantados" (Die verwunschenen Köpfe) versprechen nicht nur viel, sondern jeder Tauchgang an einem der über 60 verschiedenen Plätze hält alles das, was die Namen vollmundig versprechen. Wer nicht auf Hai-Abenteuer und Großfisch-Erlebnisse aus ist, sondern mit dem ans Detail gewöhnten Blick des Aquarianers hier abtaucht, der wähnt sich im Unterwassergarten Eden, im aquaristischen siebten Himmel oder einfach im größten, und großartigsten Korallenriffaquarium, das er je erblickt hat.

An den meisten der Tauchplätze ist man schon direkt unter dem Schiff umgeben von zahlreichen Fischen, findet sofort farbenprächtige Korallenformationen und Schwämme von ungeahnten Ausmaßen. Die nicht selten zitierte Auffassung, dass das Rote Meer und der Indo-Pazifik vielfältiger in ihrer Fauna seien als die Karibik mag durchaus zutreffend sein, aber in dem Augenblick, in dem man am Cabo Frances den Kopf unter Wasser steckt, wird man ihr wohl zumindest für die nächsten 45 Minuten keinen Glauben schenken. In diesen Gebieten, die seit über 25 Jahren Naturschutzgebiet und Meerespark sind, sind Fische nicht zutraulich, weil sie angefüttert werden, sondern weil sie völlig ungestört leben und entsprechend auch keinerlei Scheu zeigen. Große Schwärme von Schnappern oder Grunzern sind häufig anzutreffen, große Zackenbarsche sind nicht selten, kleinere Exemplare sind praktisch ständig in Sichtweite. Von 1,5 m langen Tarpunen bis zu kleinsten Grundeln ist die Vielfalt und die Gesamtzahl an Fischen beeindruckend. Insgesamt sollen sich annähernd 600 Fischarten in der Gewässern vor der Isla de la Juventud tummeln.

Korallen- und Gorgonienformationen, vor allem aber riesige Schwämme sind die faszinierendsten Blickfänge auf jedem Tauchgang. Wer als Aquarianer gewohnt ist, auch schon auf kleinem Raum genaueste Beobachtungen anzustellen und sich von winzigen Details fesseln zu lassen, dem bereitet hier eigentlich nur noch das Überangebot an Beobachtenswertem und die eingeschränkte Verweildauer unter Wasser Probleme. Immer wieder stellt sich das Gefühl ein, dass man eigentlich nur anhalten möchte und den Rest des Tauchgangs beobachtend an ein und derselben Stelle verbringen möchte. Leider zieht es dann aber die übrigen Begleiter meist weiter zur nächsten imponierenden Korallenformation, zum nächsten Fischschwarm oder zum nächsten Zackenbarsch. Nach 50 bis 60 Minuten geht dann der Luftvorrat zu Ende (meist natürlich gerade dann, wenn man den prächtigsten Fisch des ganzen Tauchgangs sieht) und es heißt auftauchen und am liebsten möchte man schon ein paar Minuten später wieder ins Wasser springen. Einen Vorteil hat man als Aquarianer zu Hause vor dem Aquarium also: die Beobachtungszeit ist (zumindest theoretisch) nicht begrenzt.

Unterwasserabenteuer zwischen Spannung und Entspannung

Die Tauchplätze am Cabo Frances werden von der Tauchbasis beim Hotel Colony in einer Bootsfahrt von knapp einer Stunde erreicht, Zeit zum gemütlichen Erfahrungsaustausch oder zur Vorbereitung auf der Hinfahrt, und Zeit für einen Vergleich der Beobachtungen oder für eine erholsame Ruhepause auf der Rückfahrt. Pro Tauchtag werden zwei zwei Tauchgänge durchgeführt, dazwischen liegt eine ausgedehnte Mittagspause auf dem Ranchón, einer auf Stelzen ins Meer gebauten Plattform. Wer auch in der Mittagspause unbedingt aktiv sein will, kann von diesem Ranchón aus zum nahen Riff schnorcheln oder auf einem Steg den Strand erreichen, an dem er sich oft genug "wie Robinson Crusoe” fühlen kann. Einen traumhaften Sandstrand in der Karibik mit niemandem teilen zu müssen (außer den Fischen im Wasser und den zahlreichen Mücken zwischen den Palmen), vermag einem wirklich die Momente der Ruhe und die Glücksgefühle zu vermitteln, die in Werbespots als jederzeit käuflich dargestellt werden. Wenn man dann noch das Glück hat, beim Schnorcheln im flachen Wasser auf eine Gruppe von Adlerrochen zu treffen, und mit ihnen für einige Minuten gemeinsam in ruhigen Bahnen umherschwimmen zu können, dann spürt man, dass die enge Verbindung mit der Natur, die man Aquarianer schon immer empfunden hat, durchaus noch eine Steigerung finden kann.

Etwas düsterer, aber nicht weniger faszinierend sind dagegen oft die Eindrücke, die man beim ersten Tauchgang des Tages bekommt. Dieser geht meist in größere Tiefen über 30 m, kann an oder unter Überhängen des Riffhangs entlang führen, oder durch einen der zahlreich vorhandenen Kamine, in Grotten oder Höhlen führen. Dort sind dann häufig besonders große Exemplare von Tarpunen oder Zackenbarschen, oder aber auch große Schwärme besonders kleiner Fische zu sehen. Aber auch die selten gewordenen Schwarzen Korallen, die auch jetzt noch gelegentlich zu Schmuck verarbeitet werden, findet man am ehestens in diesen Tiefen. An vielen Stellen dominieren dunkle, oft mächtig gewachsene Schwämme diese tieferen Bereiche.

Der zweite Tauchgang des Tages führt dann immer in deutlich geringere Tiefen, in lichtdurchflutete Korallengärten mit kristallklarem Wasser und fast ohne jegliche Strömung. Hier findet der Unterwasserfotograf, aber auch der tauchende Aquarianer unzählige Motive und Beobachtungsmöglichkeiten. Hier, im deutlich stärkeren Licht und meist kristallklaren Wasser, sind die riffbildenden Korallen beherrschend, die mit Hilfe von einzelligen Grünalgen, die mit ihnen (und in ihnen) in Symbiose leben, mit ihren Kalkausscheidungen über Jahrtausende hinweg die Riffe aufbauen. Immer wieder finden sich größere Fischschwärme, die zur längeren Beobachtung einladen, oder buntgescheckte Korallengesellschaften, in denen auf engstem Raum eine ganze Reihe verschiedener, oft sehr kontrastreich gefärbter Schwamm- oder Korallenarten nebeneinander leben, oder vielleicht auch miteinander ums Überleben kämpfen.

„Urlaub am Ende der Welt.”

Die Mittagspause auf dem Ranchón und die Abende im Hotel (dem einzigen touristischen Hotel der Insel) sind dann geprägt von karibischer Natur, karibischem Flair und völliger Losgelöstheit von der Eile und Hektik der Welt, die man mit dem Flug von Havanna nach Nueva Geron, der Hauptstadt der Isla de la Juventud, hinter sich gelassen hat. Auch wenn die zahlreichen Mücken, gelegentliche technische Pannen und das nicht immer sehr abwechslungsreiche Essen dafür sorgen, dass nicht immer nur eitel Freude herrscht, so entschädigen doch die Freundlichkeit der Menschen, der abendliche Drink an der Mojito-Bar (die ebenso wie der Ranchón auf Stelzen ins Meer gebaut ist) und der Sonnenuntergang unter Palmen für alle kleineren Entbehrungen, die man als Urlauber hier auf sich nehmen muss. Das Bewusstsein, trotz aller Abgeschiedenheit im Falle eines Falles auf gute ärztliche Versorgung rechnen zu können (eine Ärztin ist im Hotel, ein Dekokammer befindet sich bei der Tauchbasis), gibt zusätzlich ein beruhigendes Gefühl. Wer allerdings absolute Perfektion sucht, häufig bummeln und einkaufen gehen will und ein lebhaftes Nachtleben erwartet, dem wird auf der Isla eine Enttäuschung nicht erspart bleiben.

Wer sich jedoch mit traumhaft schönen Tauchgründen zufrieden gibt, Ruhe und Abgeschiedenheit sucht, eine lange, teils abenteuerliche Anreise in Kauf nehmen kann und mag, der findet auf der "Insel der Jugend” auch für die ganze Familie Erholung, Zeit zum Träumen, zum Lesen, zum Gespräch, paradiesische Zustände und all das, was ein Aquarianer, ein Taucher, was jeder braucht, um "die Seele baumeln zu lassen” und sich mit Licht und Wärme "vollzutanken” für ein weiteres Jahr kühlen Nieselregens daheim. Bis zum nächsten "Tankstop” auf der Isla de la Juventud.  

Text und Fotos: Georg Zurlo

Nachdruck aus: das Aquarium, Juni 1999