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Aquaristik und Reisen

Tauchen am Hausriff

Die andere Sicht auf die Welt unter Wasser

Abends 22 Uhr ab Frankfurt, 3 Uhr nachts in Hurghada, 5 Uhr im Hotel 20 km hinter Safaga, das sind alles keine guten Voraussetzungen, um bei Laune zu bleiben, wenn man übernächtigt Ausschau hält nach dem Bootssteg, an dem das Boot liegen soll, mit dem man in der folgenden Woche seine Tagesausflüge machen möchte. Ein "Kurzurlauber” , der sich gerade auf die Annehmlichkeiten der täglichen Ausfahrten mit immer wieder wechselnden Tauchrevieren, dem gemeinsamen Essen an Bord und als Krönung der himmlischen Ruhe und dem sanften Schaukeln des Bootes bei der Mittagpause freut, muss es logischerweise als Katastrophe empfinden, wenn ihm angekündigt wird, dass kein Boot da ist und dass auch keines kommen wird.

Dass die Aussicht, jeden Morgen um 8 Uhr mit Sack und Pack ins 20 km entfernte Safaga gekarrt zu werden, um von dort aus die gebuchten Bootsfahrten zu beginnen, auch nicht gerade Begeisterung hervorruft, dürfte klar sein, selbst wenn als Zugabe fünf weitere kostenlose Tauchgänge hinzukommen. Die Möglichkeit, in ein "rummeliges” all-inclusive-Hotel” umzuziehen, ist für Urlauber, die eine Woche Tauchen und Ruhe gesucht haben, ebenfalls nicht gerade verlockend.

Wenn jemand, dessen Vorstellungen davon, wie seine Tauchurlaubswoche am Roten Meer verlaufen soll, so gewaltig durchkreuzt werden, am Abend nach dem ersten Tauchgang bereit ist, eine Woche Bootsausfahrten gegen eine Woche Hausrifftauchen einzutauschen, dann muss das Riff vor Ort schon einen besonderen Eindruck auf ihn gemacht haben.

Coral Garden ist ein kleines Hotel mit Tauchbasis und Hausriff in der Gazus-Bucht kurz hinter Safaga in Richtung Süden. Mit all den Vorzügen und Nachteilen, die in Ägypten gerade neu eröffnete Hotels meistens haben, präsentiert es sich als ein interessantes Ziel für alle, die entspanntes Tauchen abseits vom Massenbetrieb suchen. Im März 2000 eröffnet, bietet das Hotel schlichte, aber schöne Zimmer, ein etwas einfaches Frühstück, aber ein erfreuliches Abendessen und vor allem eine ruhige, fast familiäre Atmosphäre. Dass das Hotel, wie der Veranstalter betont, außer Tauchen nichts (an mancherorts üblichen Unterhaltungen) bietet, trifft zwar zu, aber es dürfte genügend Urlauber geben, die dies eher als Vorteil, denn als Nachteil empfinden werden.

Interessante Begegnungen

Wem das Tauchen das Wichtigste ist, der wird hier mindestens für eine Woche an das Hausriff gefesselt sein. Wo hat man schon die Chance, bereits beim Checktauchgang einen Weißspitzenriffhai, einen Schwarm von 40 – 50 Sepien, einen 50 cm langen Igelfisch und einen großen Gitarrenrochen kurz hintereinander in Strandnähe zu sehen. Wenn man nach drei Tauchtagen aufhört, die Begegnungen mit Rotfeuerfischen, Barrakudas und Anemonenfischen noch zu zählen, ist das ein deutlicher Beweis für die Vielfalt des Lebens am Hausriff. Wenn riesige Lippfische und Kugelfische, große Schwärme von Glasfischen, Füsilieren, Riff- und Fahnenbarschen zu jedem Tauchgang gehören, und Begegnungen mit großen Schildkröten und kleinen Flügelrossfischen die Höhepunkte darstellen, dann kann man eigentlich nur noch bedauern, dass keine Delphine aufgetaucht sind.

Entspanntes Beobachten

Welcher Taucher träumt nicht von der Möglichkeit, von 8 bis 18 Uhr bei völlig freier Zeiteinteilung in kleinen Gruppen abzutauchen, selbst immer wieder allein zu bestimmen, welchen Abschnitt des Hausriffs man noch einmal oder zum ersten Mal betauchen will und dabei von nichts anderem als dem eigenen Luftverbrauch eingeschränkt zu werden? Wer noch keine Gelegenheit hatte, festzustellen, wie schön Tauchen vor dem Frühstück sein kann, dem bietet sich im Hotel Coral Garden die Chance dies in Ruhe zu tun. Von 30 Metern Tiefe bis zum Schnorchelbereich bietet das Riff in der Gazus-Bucht in allen Bereichen Vielfalt, Farbe und Leben in seiner ganzen Fülle.

Hausrifftauchen für Aquarianer

Die scheinbare Einschränkung „ nur” an einem Riff tauchen zu können bedeutet gerade für Aquarianer einen besonderen Reiz. Auch im Aquarium bietet sich ja nicht tagtäglich ein neues, verändertes Bild, sondern ein weitgehend konstanter Ausschnitt der Natur, in dem wir auch geringfügige Veränderungen und Entwicklungen registrieren und gezielt beobachten können.

Der Aquarianer mit seinem auf diese Weise geschulten Auge wird sich bei wiederholtem Tauchen am selben Platz deshalb nicht langweilen, sondern diese Beobachtungsweise auf diese Situation übertragen. Er wird registrieren, ob ein einzelnes Tier oder ein Fischschwarm standorttreu ist, ein größeres Revier besetzt, oder völlig frei umherstreift. Er (oder sie) kann den Einfluss äußerer Faktoren wie Tageszeit, Beleuchtungsstärke und Wasserbewegung auf die Tiere eines Korallenriffs aus erster Hand erleben. Nachttauchgänge an Stellen, die man gründlich zu kennen glaubt, zeigen die fast unglaubliche Veränderung der Unterwasserwelt bei Dunkelheit. Und gerade die fast kontemplative Beobachtung eines kleinen Riffabschnitts, die ja mit dem Blick in ein Aquarium vergleichbar ist, dürfte etwas sein, das auf "normalen” Tauchgängen mit einem Guide und mit einer größeren Gruppe nie möglich ist, da es die anderen doch immer vorantreibt.

Licht und Schatten

Neben der Unterwasserwelt, die so viel Anlass zum Schwärmen bietet, gehört zu einem Tauchurlaub auch die Welt über Wasser, die in einem neuen, etwas abseits gelegenen Hotel wie dem Coral Garden oft genug die Kehrseite der Medaille darstellt. Wo so viel Licht ist wäre es erstaunlich, wenn es nicht auch Schatten gäbe. Die Unmöglichkeit, mit einer Kreditkarte zu zahlen (inzwischen verändert), teils saftige Aufpreise, fehlender Bootstransport und die naheliegende Straße von Safaga nach El-Quseir (inzwischen verändert) sind unerfreuliche Kleinigkeiten, können allerdings dem hartgesottenen Naturfreund die Freude an der Welt unter Wasser nicht verderben.

Dass vieles an solchen kleinen und neu eröffneten Taucherhotels anfangs noch unfertig wirkt (und ständig verbessert wird), verursacht aber nicht nur eine Reihe kleinerer Probleme, es macht gleichzeitig auch ihren Reiz aus. Viel von der sympathischen Ausstrahlung, die sie haben, beruht darauf, dass sie noch klein sind, und abseits vom Massentourismus liegen, der inzwischen nicht nur in Hurghada, sondern auch in Safaga Einzug hält. Was aus der Gazus-Bucht einmal wird, wenn die Hotels ringsherum fertiggestellt ist, und wenn das Coral Garden seine endgültige Größe erreicht hat, daran denkt man mit einem Seitenblick auf das was in Hurghada und Safaga geschieht mit Besorgnis. Am schönsten, so denkt man sich dann, wäre es, wenn (fast) alles so bliebe, wie es jetzt ist.

Die Suche nach der "unberührten Natur”

Wer an einem möglichst naturbelassenen Hausriff tauchen will, wird in Ägypten die "Wanderung nach Süden” mitmachen müssen. Wahrscheinlich wird man aber immer wieder vom Massentourismus eingeholt werden und weiterwandern müssen.

Wichtiger als die Suche nach immer neuen "unberührten” Tauchplätzen erscheint es daher, eine neue Form des Tauchtourismus zu finden, die die Riffe schont und weniger Schäden verursacht. Wir müssen der Natur Zeit lassen, Beeinträchtigungen der Unterwasserwelt, die unvermeidlich entstehen, wenn wir ihre Schönheit vor Ort mit eigenen Augen bewundern wollen, aus eigener Kraft heraus zu "heilen”. Dies würde zahlenmäßige oder zeitliche Einschränkungen der Tauchmöglichkeiten an einem bestimmten Platz zur Folge haben. Wirkliche Achtung vor der Natur zeigt sich dabei auch, und besonders, in der Fähigkeit zur Selbstbeschränkung und Selbstdisziplin.

(Dass dieser Text schon vor etwa 12 Jahren geschrieben wurde, ändert nichts an seinen grundsätzlichen Feststellungen zum Tauchen am Hausriff. Das Hotel Coral Garden hat aber seitdem Veränderungen erfahren, die den Aufenthalt dort noch angenehmer machen, ohne dass sich an seinem ganz besonderen Charakter etwas geändert hat. Vor allem aber leiten dort jetzt schon seit vielen Jahren mit Sonja und Tom zwei wunderbare Menschen die Tauchbasis. Auch wegen der hervorragenden Arbeit dieser beiden kommen viele 
Taucher immer wieder als "Wiederholungstäter" in die Gazus-Bucht zurück.)


Das Video zum Text: